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“Rossini” oder: Ich wollte auch mal zum Film

Nach langer Zeit habe ich mir mal wieder (auf DVD) diesen herrlich sarkastischen Film angeschaut, der sich delektiert am Vorgeplänkel zu einem neuen Möchtegern-Kino-Hit: Rossini – oder die mörderische Frage, wer mit wem schläft. Eine großartige Leistung von Regisseur Helmut Dietl und Drehbuchautor Patrick Süskind.
Hinterher kamen mir allerdings so manche eigene Erfahrungen wieder ins Bewusstsein, wie es “hinter der Kamera” zugeht. Also nicht – wie im Film – die Welt der hochbegabten* und oft auch hochneurotischen Macher (Drehbuchautor, Regisseur, Produzent, Hauptdarsteller), sondern das “Fußvolk”, ohne das die Macher ganz schön aufgeschmissen wären.

… oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief (Constantin 1996)

Als Student habe ich so meine eigenen Erfahrungen gesammelt: als Statist und als Regieassistent. Sicher habe ich damit geliebäugelt, auch tiefer in diese Welt einzusteigen. Zum Beispiel als Drehbuch-Autor. Aber mein erster und einziger Versuch in dieser Richtung scheiterte kläglich: Das Skript zu einer Dokumentation über den (nicht nur in Indien weit verbreiteten) Glauben an die “Wiedergeburt” misslang mir. Es misslang nicht etwa, weil ich zu wenig Ahnung vom Thema hatte (eine Rundfunkreihe und das daraus entstandene Sachbuch zeigen zumindest, dass ich mich in die Materie eingearbeitet hatte). Doch ich hatte einfach keinerlei Ahnung, wie man so ein Drehbuch macht. Das ist nämlich weit komplexer als das Drehbuch für einen Comic ( → Comix sind gar nicht komisch) oder das Skript für eine Rundfunk-Sendung (womit ich bereits viel Erfahrung hatte).


Immer wieder kreuzen sich die Wege im Cineastischen

1994 heuerte mich Martin Thau von der “Drehbuch-Werkstatt” der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München für ein Kreativitäts-Seminar an, das den Studenten helfen sollte, Blockaden beim Verfassen von Drehbüchern zu überwinden und ihren Kreativen Prozess in Gang zu bringen. Bei dieser Gelegenheit lernte ich als einen der Studenten Daniel Speck kennen, mit dessen Lebensweg sich meiner immer wieder mal kreuzte, direkt oder indirekt;
° So führte ich für seine Mutter, die Pädagogik-Professorin Angelika Speck-Hamdan, 1995 ein Schreib-Seminar mit ihren Pädagogikstudenten an der Ludwig-Maximilians-Universität durch.
° Daniel selbst war einige Mal Teilnehmer an einer unserer Schreib-Werkstätten.
° 2003 ergab sich dann die Gelegenheit, seine Erfahrungen (als inzwischen arrivierter Drehbuchautor) mit meinen Erfahrungen zusammenzubringen und eine gemeinsame “Drehbuch-Werkstatt” anzubieten. Bei der habe ich selbst viel gelernt – nicht zuletzt über das Konzept der Heldenreise (das an Filmhochschulen längst fester Bestandteil der Ausbildung ist und seitdem auch in meinen Seminaren).
° Inzwischen ist Daniel auch erfolgreicher Romanautor (Bella Germania wurde bereits verfilmt).
° Kurz vor neuerlichen Lockdown im November 2020 hatte ich die Freude, Daniel mit Joana Osman zu einem vergnüglichen Kaffeeklatsch zusammenzubringen und beider Neuerscheinungen zu feiern: Joanas Der Boden des Himmels und Daniels zweiten Roman Piccola Sicilia (sein drittes ist ab Ende März 2021 auch auf dem Buchmarkt: Jaffa Road).


Schuster, bleib bei…

Die Welt des Films hat mich also immer wieder auch von der “ausführenden” Seite her angezogen, nicht erst, seit ich als Kino zum Film-Enthusiasten wurde – keineswegs nur für Science-Fiction-Spektakel.
Und kann es, last but not least, Schöneres geben – als wenn der eigene Sohn Filmregisseur wird? Maurus hat diesen Weg eingeschlagen – auf seiner Website erfährt man Näheres über seine beiden abendfüllenden Spielfilme Wie Licht schmeckt (nach einem Roman von Friedrich Ani) und Einer für alle – alles im Eimer, über seine Werbefilme und seine andere Variante der Arbeit mit der Kamera: das Fotografieren → Maurus vom Scheidt.

Ein Junge will in der Großstadt seinen 14. Geburtstag feiern – und trifft auf eine blinde 16jährige, die ihm zeigt, wo´s lang geht (Bayr. RF 2006)

Und so kann ich getrost bei meinem eigenen Leisten” bleiben – nicht als Schuster (obwohl ich mich als Kind in Rehau beim Hartmann-Schuster gleich nebenan in der Werkstatt stundenlang herumgetrieben habe und viele Seiten Erinnerungen daran notieren könnte: wie das Schusterpech riecht, wie der Schusterzwirn sich anfasst und die Ahle, mit der man ihn ins Leder zieht, und wie das klingt, wenn der Schuh mit dem Hammer auf dem metallenen Leisten geschlagen wird – gibt es heute fast nicht mehr.)
Sondern als Schriftsteller für Romane und Sachbücher und Kurzgeschichten und für diesen Blog – und Leiter von Schreibseminaren.

Quellen
Dietl, Helmut (Regie): Rossini – oder: Die mörderische Frage, wer mit wem schlief. Deutschland 1997 (Constantin Film).
Osman, Joana: Am Boden des Himmels. Hamburg 2019 (Atlantik).
Scheidt, Jürgen vom: “Die Kette der Wiedergeburten”. München, Sep/Okt 1981 (6teilige Feature-Reihe für den Bayr. Rundfunk).
ders.: Wiedergeburt – Geheimnis der Jahrtausende. München 1982 (Heyne TB). Buchfassung der Funkreihe.
ders.: Wiedergeburt. TV-Treatment für TeleNorm. (München 1984-01-22)
Scheidt, Maurus vom (Regie): Wie Licht schmeckt. 2006.
ders. (Regie): Einer für alle, alles im Eimer. 2015.
ders.: Website Maurus vom Scheidt.
Speck, Daniel: Bella Germania. Frankfurt a.M. 2016 (S. Fischer).
ders.: Piccola Sicilia. Frankfurt a.M. 2018 (S. Fischer).
ders.: Jaffa Road. Frankfurt a.M. 2021 (S. Fischer).

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ADHS Autobiographisches Begegnungen Drittes Reich Indien Jazz Musik Reisen Zufall

Trommler in den Tag

Das fing schon früh an – die Lust am Bearbeiten eines Schlagzeugs – oder eben einer kleinen Trommel, wie man sie einem Kind gibt. Ein Schlagzeug hatte ich auch einmal – als Student – angeregt durch einen Studienkollegen und Freund in der Münchner Jazzer-Szene: Dieter Henneberg von der legendären Riverboat Seven. Aber wie bei der Gitarre fehlt mir der richtige Antrieb zum fleißigen Üben – und nur so ein wenig Herumdilletieren macht keinen richtigen Spaß. Rasch verkaufte ich die “Schießbude” (wie die Jazzer das gerne nennen) weiter.

Kein Oskar Matzerath´scher Blechtrommler – aber einer, der schon als Dreijähriger gerne mit der Hitlerjugend marschiert wäre (Archiv JvS – Rehau 1943


Hinter der Hitlerjugend hermarschieren – das wär´s gewesen

Ich muss so drei Jahre alt gewesen sein (also ungefähr so alt wie oben auf dem Foto), als an unserem Haus vorbei die Hitlerjugend marschierte, ein Spielmannszug vorneweg musizierend. Ich nichts wie runter auf die Straße und hinterher – bis vor zum Lichtspieltheater (wo man mich aber nicht reinließ – schade – ich wäre so gerne mit den Pimpfen ins Kino gegangen).
Damals muss irgendwie der Trommel-Impuls in mich reingefahren sein. Oder war es doch schon das ADHS, das mich zum Zappelphilipp machte und für den das Trommeln mit den Fingern eine große Erleichterung = Triebabfuhr war und immer noch ist (mein Vater hat auch alle Welt mit seiner “nervösen Trommelei” genervt, wie meine Mutter das abschätzig bezeichnete – später meine Frau Ruth bei mir).

Auch das Tippen auf der Schreibmaschine muss aus dieser “Trommel-Ecke” rühren – heute auf der Tastatur meines Computers, die gar nicht hart und laut genug sein kann – Triebabfuhr für Zappelphilipps ADHS. Vielleicht bin ich deshalb zum “Schreiber” geworden – als Nachfahre der Hitlerjugend auf dem Weg ins Rehauer Kino?

Indische Tabla-Brillianz

Später lernte ich einen indischen Tablaspieler kennen, der in München studierte: Shankar Chatterjee; der schenkte mir zwei seiner Handtrommeln (Tablas genannt). Mit seinem Kollegen Sunil Banerjee (ein virtuoser Sitarspieler und vom Brotberuf Ingenieur) trat er oft in München bei Konzerten der deutsch-indischen Gesellschaft auf (wo ich eine Zeitlang Mitglied war). Zweimal gaben die beiden ein Hauskonzert bei uns in der großen Altbauwohnung in der Seestraße (1982-2011). Das eine war zur Einweihung der Wohnung – das andere zu einem speziellen Anlass – wahrscheinlich 1990 zu meinem 50. Geburtstag.
Bei meiner Indienreise 1975/76 schloss ich mich einer großen Gruppe in München lebender Inder an (was damals einen Preisnachlass für die Flugtickets ermöglichte), zu denen auch Shankar und Sunil gehörten. Auf diese Weise ereignete sich wieder einer dieser sagenhaften Zufälle meines Lebens:

Während ich (mit zwei anderen Münchnern) erst einmal Delhi erkundete, flogen die Inder weiter in ihre Heimatorte und ich verlor sie aus den Augen. Später nützte ich dann ein 14-Tage-Ticket für eine Rundreise mit dem Flugzeug. Eine Station war Kalkutta. Indien ist ja nun wirklich kein kleines überschaubares Land, wo man sich immer wieder über den Weg läuft, wie in manchen griechischen oder Schweizer (oder auch deutschen) Tourismus-Zentren. Aber in Kalkutta aus dem eben besuchten Indischen Nationalmuseum zu treten – und genau dort Shankar Chatterjee zu treffen, der gerade vorbeiläuft, um Besorgungen zu machen – das ist schon unglaublich!
Auf diese Weise bekam ich, von ihm eingeladen, die wunderbaren Gelegenheit, ihn zuhause in einem Vorort kennenzulernen – so richtig unter Einheimischen und er in einer völlig andern Rolle als Sohn einer großen Familie.

Shankar Lal (Chatterjee) mit Tablas und Sunil Kumar (Banerjee) an der Sitar (München 09. Ok 1982 – Archiv JvS)

Doch zurück zum eigenen Trommeln. Congas – das wäre es gewesen! Ich kaufte mir auch einmal ein gebrauchtes Paar. Immer wieder habe ich darauf geübt. Aber als ich endlich richtig Unterricht nehmen wollte (beim legendären Erich Ferstl), klappte es nie mit dem Termin. Und das eine Mal, als ich mich im Olympia-Park zu einem Conga-Kurs der Volkshochschule anmeldete – wurde das wieder nichts, weil der Depp von Lehrer sich so verspätete (ohne sich zu entschuldigen), dass ich seiner Künstlerallüren überdrüssig frustriert von dannen zog.

Aber irgendwie muss das viele Fingertrommeln und das Hören unzähliger Jazz-Platten und indischer Ragas mit ihren furiosen Tabla-Soli und das viele Tanzen von Boogie-Woogie und Jitterbug – und vielleicht eine gewisse musikalische Begabung – doch etwas in mir geschaffen habe, was sich als Conga-Solisten glänzen ließ. Das ergab sich einfach so während des Abschlussabends bei einer Generalversammlung des “Workshop Instituts of Living Learning (WILL)”, bei dem ich die Ausbildung zum Leiter von Gruppen mit “Themenzentrierter Interaktion” (TZI)” machte – die methodische Basis meiner Schreib-Seminare. Die Band, die den bunten Abend musikalisch belebte, machte gerade Pause. Einige Tänzer, darunter auch ich und Ruth, standen etwas gelangweilt auf der Tanzfläche herum, als es mich buchstäblich in den Finger zu jucken begann; Da standen diese Congas – also nichts wie ran. Keine Ahnung, was mir den Mut verschaffte (wahrscheinlich war es der Wein), mich an die großen Trommeln zu stellen und herumtastend darauf zu klopfen, plötzlich einen Rhythmus spürend, der nicht vom Kopf kam, sondern vom Körper, und wie von einer magischen Kraft geführt war ich ihm Flow und trommelte doch so gekonnt, dass die Tänzer sich dem anvertrauten und sich für zwei, drei Soli meiner “Musik” anvertrauten. So etwas was ist wir nie zuvor gelungen und nie wieder danach.

(Ich muss das “nie” ein wenig relativieren – es stimmt nur für die Trommelei mit den Congas. Aber etwas ähnliches habe ich ein andermal mit einem anderen Instrument erlebt, ebenfalls bei einer WILL-Veranstaltung. Es war dunkel im Saal – Thema “Nächtlicher Dschungel” – sehr beliebt bei WILL – als mich wieder so eine geradezu magische Kraft zum Klavier bugsierte, wo ich dann zweihändig (!) Boogie-Woogie spielte – und zwar so gut, dass man sich am anderen Morgen anerkennend darüber äußerte – ohne zu wissen, dass ich das war – im Dunkeln. Boogie-Woogie – das ist vor allem Rhythmus, mit der linken, der Bass-Hand. Ich hatte als Kind drei Jahre Klavierunterricht – bis ich den genervt abbrach, weil der Lehrer, der Kantor Peter (was man sich alles merkt!) ein so unfreundlicher und pädagogisch völlig unterbelichteter Mensch war. Außerdem hatte ich ja unzählige Jazz- und Blues- und Boogie-Platten gehört, im Münchner Jazzkeller* an der Türkenstraße mir unzählige Nächte bei phantastischer Live-Musik (die Four Duke! Mal Sondock am Saxophon!) um die Ohren geschlagen und in entsprechenden Konzerte im Deutschen Museum mitgefiebert (sensationell am Schlagzeug Elvin Jones mit dem John Coltrane Quartett – oder Lionel Hampton*, der regelrecht in Ekstase auf seine Trommeln sprang, wenn er nicht gerade am Vibraphon brillierte und sang: “Hey! Ba-ba-re-bop”!”


* Nach einem Hampton-Konzert 1961 war ich so angetörnt und von Endorphinen durchpulst, dass ich mich am Stachus, wo ich auf die mitternächtlichen Trambahn meiner “Linie 8” zur Barer-/Theresienstraße wartete, plötzlich irgendwohin setzte und eine Geschichte zu notieren begann. Sie wurde später das erste Kapitel des Ketten-Romans Das unlöschbare Feuer, den ich reihum mit einigen Freunden aus der SF-Szene schrieb, abschloss und sogar als Leihbuch veröffentlichte – Danke, Lionel!

Aus meinen Conga-Erlebnissen ist die Kurzgeschichte → “Conga Joe” entstanden , die ich gerne bei Lesungen vorgetragen habe, vor allem wenn die passende Musik dabei war, wie am 02. Mai 2005 in Weiden bei “Jazz und Poesie” (mit Alfred Hertrichs Trio).

Jazz und Poesie in Weiden am 02. Mai 2005 – v.l.n.r. ? Bauer (Posaune), Wilfried Lichtenberg (Bass), Alfred Hertrich (Gitarre) und JvS (Mikro) CAMERA

Die Geschichte geht weiter

Ob es Papas Wunsch war – oder ob Gregor selbst gerne die Tabla schlug: Hier sitzt er jedenfalls 1972, gerade mal ein Jahr alt und erst seit kurzem zum Sitzen fähig, in der Wohnung in der Gerstäckerstraße (München, Grenzkolonie Trudering) und vergnügt sich. Heute spielt er lieber Cello – aber sein Sohn Nico hat endlich den Dreh und die Begeisterung und vor allem das Durchhaltevermögen gefunden und lernt richtig Schlagzeug. Eine Geschichte über drei Generationen also- und wenn ich die “nervöse Trommelei” meines Vaters als Ur-Ereignis dazunehme, sogar über vier Generationen:

Gregor, gerade mal ein Jahr alt – und gibt schon den Ton an und den Rhythmus vor (Archiv JvS – 1972).

Quellen
Grass, Günter: Die Blechtrommel. Neuwied 1959 (Luchterhand).
Hampton, Lionel: “Hey! Ba-ba-re-bop”. Auf LP HAMP’S BOOGIE WOOGIE (1942-1949).
Scheidt, Jürgen vom: “Conga Joe”. In: JvS: Blues für Fagott und zersägte Jungfrau. München 2005 (Allitera)
Upton, Munro R. (Sammelpseudonym von Jesco von Puttkamer, Jürgen vom Scheidt und fünf anderen SF-Fans): Das unlöschbare Feuer. Balve 1962 (Bewin Verlag).


Kettenroman von JvS, Jesco von Puttkamer etc – ausgelöst von einem Konzert mit Lionel Hampton) (1962 – Bewin-Verlag)
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3 (drei) Autobiographisches Begegnungen Entschleunigung Medizin München Yoga

Asanas und kontrollierter Atem: Yoga am morgen…

… vertreibt Spannung und Sorgen. Nach der Schreib-Session (MorgenNotizen) gleich nach dem Aufwachen und dem “Early Morning Tea” die Matte ausrollen, die Augen schließen, konzentrieren, auf den Atem achten.
Und los geht´s. Erst einige Übungen im Stehen. Dann runter auf den Boden. Auf dem Bauch die Kobra. Anschließend Rückenlage. Schön geruhsam (entschleunigt!) durch Dehnen und Strecken möglichst viele Bereiche des Körpers durcharbeiten.

Mein allererster Yoga-Lehrer (ab 1972) schrieb ein auch heute noch sehr lesenswertes Buch (leider längst vergriffen: Die Kunst sich selbst zu verjüngen). Max Kirschner (1900-1991) hatte Landwirtschaft gelernt, war für eine holländische Firma Tabakpflanzer in Indonesien gewesen, während des Kriegs in Nordindien in einem Internierungslager gefangen (zusammen mit Heinrich Harrer, der den jungen Dalai Lama so beeindruckt hatte – die Welt ist klein).

Die Engländer (damals noch die “Herren” Indiens) gaben ihm den Auftrag, in Simla eine Milchfarm mit tausend (!) Kühen zu managen. Das schaffte er auch – aber der Stress ließ ihn krank werden. Ein indischer Offizier zeigte ihm einige Yoga-Übungen, mit denen er sich zu seinem großen Staunen gut regenerieren konnte. Nach dem Krieg, aus Gefangenschaft entlassen und aus der Verantwortung für die Milchfarm, war er in Deutschland zunächst arbeitslos – wer brauchte da in München schon einen Tabakpflanzer oder Kuh-Manager!
Aber hatte er da in Indien nicht diese tolle Methode namens Yoga kennengelernt, die ihm selbst so gut geholfen hatte? Kreativ und chancensuchend wie er war, begann er, anderen Leuten “seinen Yoga” zu zeigen. Daraus wurde dann sein neuer Beruf: Yoga-Lehrer. So habe ich ihn, schon ein rüstiger alter Mann mit 72, aber topfit, während eines Yoga-Kongresses kennengelernt, bei dem ich ein Vortrag hielt (es war wohl “Tiefenpsychologie und Yoga” – s. Mangoldt 1971).

Mak Kirschners Yoga-Buch (Wiesbaden 1958 – agis-Verlag)

Zurück in München dachte ich, dieser Mann könnte die Lösung für meine Rückenprobleme sein. Und das war er auch. Etliche Jahre nahm ich Unterricht bei ihm (und später auch bei anderen Lehrern). 1975/76 kamen noch die Erfahrungen mit einigen Sitzungen bei indischen Yogis dazu (u.a. der persönliche spirituelle Führer von Indira Gandhi – ein narzisstischer Schönling und Blender – aber da wawar auch ein sehr eindrucksvoller Yogi im Ashram von Pondicherry, eigentlich der Gärtner des Ashrams – aber ein wirklich weiser alter Guru).

Aus alledem entstanden eigene Yoga-Kurse (u. a. für den Kreisjugendring München und die Sport-Hochschule der Universität). Es war immer schon meine Devise und Erfahrung, dass man über ein Gebiet am meisten lernt – indem man es unterrichtet (ein Minimum an Vorerfahrung vorausgesetzt). Es folgte nach der Indienreise mein eigenes Buch: Yoga für Europäer, dazu einige Beiträge in einem Reader (Mangoldt 1971).

Als ich später für den Bayrischen Rundfunk als freier Mitarbeiter immer neue Partner für Interviews suchte, war Max Kirschner einer meiner ersten Ansprechpartner – bei seiner Biographie!

Ergebnisse eigener Yoga-Erfahrungen und meiner Indienreise (München 1976 – Kindler)

Nicht nur Friede Freude Eierkuchen

Wenn man das hier so liest, kommt man vielleicht auf die Idee, dass Yoga die Super-duper-Lösung für alle Probleme ist. Von wegen! Ich habe mal eine Frau gekannt, die als Yogalehrerin viel praktische Erfahrung mit dieser Methode hatte; auch wie man diese Übungen für sich selbst einsetzen kann. Nur hatte sie eben zu viele ihrer Probleme “weggejogt“, statt die damit verbundenen Konflikte anzugehen und zu lösen. Eines Tages klappte das Verdrängen nicht mehr, sie bekam einen ungeheuren Wutanfall und musste sich in therapeutische Behandlung begeben. –

Der Yoga hat eine dreifache Wirkung
° Er beruhigt den Körper
° und ist zugleich ein gutes Diagnostikum für dessen Zustand.
° Und er entschleunigt das Gemüt.

Wenn ich dieser Tage am Morgen meine Asanas und mein Atemübung mache, weiß ich bei fast allen dieser rund 30 Übungen, von wem ich sie gelernt habe:
° Von einem Schweizer namens Walser die dreistufige (!) Atmung (Lungenspitzenatmung – mit den Fingerspitzen dabei die Schulterblätter berühren / Zwerchfellatmung – Hände an die Flanken legen / Bauchatmung – Hände in der Nabelgegend beim Solarplexus).
° Von Herrn Hildebrandt den Sonnengruß.
° Von Andrea “Marwa” von Waldenfels u.a. eine tantrische Meditation (die ich hier nicht näher beschreiben will).
° Von Max Kirschner, last but not least, die Kobra, den Bogen, den Pflug und many many more – und vor allem eine wunderbare Tiefenentspannung zum Abschluss jeder Sitzung bzw. Liegung. Ich bin mir sicher, dass dies meine erste bewusste Erfahrung von Entschleunigung war. Danke, Max Kirschner!

Eine Asana, die man als Europäer keinesfalls üben sollte: Den Kopfstand. Der ähnliche Schulterstand ist völlig ausreichend als “Perspektivenwechsel” und medizinisch okay (und auch viel leichter durchführbar). Wenn man (ich hatte einst das zweifelhafte Vergnügen) einen durchtrainierten Yogi wie B.K.S. Iyengar auf der Bühne vorturnen sieht, übersieht man bei dieser artistischen Vorführung nicht nur, dass der Mann den ganzen Tag nichts anderes macht – und dass er vor allem, wie die meisten Inder, eher zierlich und leichtgewichtig ist – verglichen mit uns doch etwas massiveren Europäern. Wenn einer wie er den Kopfstand macht, herrscht da längst nicht so ein höllischer Druck auf die Halswirbelsäule wie bei unsereinem.
Leider gilt der Kopfstand als die Yoga-Übung schlechthin, weil man da gewissermaßen “die Welt aus einer anderen Perspektive sieht” – eben auf den Kopf gestellt. Bullshit! kann ich da nur sagen. Man sollte bei alle diesen Übungen immer darauf achten, dass sie einem gut tun. Ein wenig “stumpfer” Schmerz bei einer ungewohnten Dehnübung ist völlig okay – stechenden Schmerz gilt es zu vermeiden – da stimmt dann etwas nicht.

Und ja: Yoga ist wirklich die “Kunst des Jungbleibens und des Selbstverjüngung” – wahrscheinlich die einzige, die wirklich etwas taugt!

Quellen
Kirschner, Max: Die Kunst sich selbst zu verjüngen. Wiesbaden 1958 (agis).
ders (Interview: JvS): “Yoga für den westlichen Menschen”. München 03. Nov 1978 (Sendung im Nachtstudio des Bayr. Rundfunk).
ders (Interview: JvS): “Entwicklungshilfe praktisch betrachtet”. München 29. Juni 1979 (Sendung im Nachtstudio des Bayr. Rundfunk).
ders (Interview: JvS): “Kultur in der Krise”. München 05. Juni 1981 (Sendung im Nachtstudio des Bayr. -Rundfunk).
Mangoldt, Ursula von: Yoga heute. Weilheim 1971 (O.W. Barth).
Scheidt, Jürgen vom: “Tiefenpsychologie und Yoga” – in: Mangoldt 1971.
ders.: “Rauschdrogen und Yoga” -in: Mangoldt 1971.
ders.: Yoga für Europäer. München1976 (Kindler Paperback).