Okay, die Ähnlichkeit zwischen dem Alien-Monster auf diesem Titelbild (s. unten) ist nicht super – aber doch verblüffend. Ich habe das Cover aus der SF-Serie Perry Rhodan 1973 schon einmal verwendet – als eine der Illustrationen meines Sachbuchs Innenwelt-Verschmutzung. Dort diente mir das Bild zur Veranschaulichung von Aggression in den Medien. Als in diesem Jahr überall die Darstellungen des Virus Covid-19 auftauchten, musste ich immer wieder mal an jenes gruslige Alien-Monster der Perry-Rhodan-Serie denken.
Titelbild der SF-Serie Perry Rhodan – etwa 1973 gezeichnet von Johnny Bruck. (Alle Rechte bei Pabel-Verlag und Perry Rhodan)
Wenn ich mal die Männer auf dem Cover als Maß nehme, dann ist das Kugelmonster aus dem fernen Weltenraum gut drei Meter im Durchmesser, plus die Tentakeln. Wie winzig ist dagegen das Corona-Monster aus dem vergleichsweise nahen China: ganze 0,12 Mikrometer – also ein Zehnmillionstel Meter. Doch “Alien Corona” ist mindestens so gefährlich wie der – die – das Weltraum-Alien! Alles eine Sache der Perspektive.
Es gibt da übrigens, was Viren angeht, noch einen hübschen Zufall aus meiner Lebensgeschichte: Mein Lektor beim Droemer-Verlag, der 1973 mein Buch Innenwelt-Verschmutzung betreute, war Fritz Bolle, ein Berliner Urgestein, das es nach München verschlagen hatte. Wie ich Anfang dieses Jahres 2020, als das Viren-Thema mit Corona aktuell wurde, entdeckte, war Bolle viele Jahre davor der Autor eines kleinen Büchleins mit dem schönen Titel Lebende Kristalle – das ich als Zwölfjähriger gelesen habe – und mir via Amazon gleich wieder antiquarisch besorgt habe:
Fritz Bolle: Lebende Kristalle. 1952. Lux-Lesebogen Nr. 119
Die Welt ist schon ein sehr kleines Dorf – manchmal.
Quellen Bolle, Fritz: Lebende Kristalle. Murnau 1952 (Lux-Lesebogen Nr. 119). NN: (Perry Rhodan Heft nnn, München 1973??) – Cover: Johnny Bruck.
Wenn man achtzig Jahre alt ist und mitten in einer bedrohlichen Pandemie steckt – kommt man öfter ins Grübeln über das Ende der eigenen Existenz. Schon als Kind hat mich das beschäftigt (s. die ersten Beiträge in diesem Blog), was kein Wunder war wegen des Zweiten Weltkriegs, in dem ich auf die Welt kam.
Ich möchte kein Erdgrab haben und keinen Grabstein (wie der Titel dieses Posts andeuteten könnte), sondern eingeäschert werden und einige Jahre in einer Urne aufbewahrt. Diesen Blog verstehe ich als Erinnerungsort – ähnlich den Tagebüchern, die mein Urgroßvater Ferdinand Naumann (ab 1886) über meinen Vater Helmut vom Scheidt an mich vererbt hat. Wenn meine Kinder und Enkel diesen Blog im Internet weiter erhalten, wird er zu so etwas wie mein “Grabstein zu Lebzeiten” – denn noch lebe ich ja und schreibe diese Gedanken und Erinnerungen auf.
Aktuell arbeite ich an drei Buch-Projekten: ° Einem Roman, der im München von heute spielt, aber pure Science-Fiction ist, mit Außerirdischen, Besuchen auf fremden Welten und was sonst noch zur SF dazugehört, die mich seit meinem achten Lebensjahr fasziniert (eigentlich schon früher, weil uns an Weihnachten irgendwann – 1946? – aus dem wunderbaren Märchen-Bilder-Kinderbuch Peterchens Mondfahrt vorgelesen wurde). ° Einem kleinen Sachbuch als Ergänzung meines Kreatives Schreiben – Hyperwriting. ° Meiner Autobiographie.
Alle drei Projekte werden sich aus diesem Blog speisen, der gewissermaßen der “(kreative) Fluss” ist, in dem ich die Materialien sammle, aus denen ich dann das “Gold wasche”, das in den drei Projekten hoffentlich sichtbar wird.
Mein Lieblingsmärchen ist übrigens Der Gevatter Tod, das nur nebenbei – gleich gefolgt vom Märchen von einem der auszog, das Gruseln zu lernen.
“Grabstein zu Lebzeiten” also – das passt.
(Inzwischen denkt man auch andernorts über neue Formen des Abschiednehmens und Trauerns nach. In der Südd. Zeitung lese ich: “Corona verändert unseren Umgang mit Tod und Trauer. Man kann auch online Abschied nehmen”.)
Quelle Moorstedt, Michael: “Digitales Lebewohl”. In: Südd. Zeitung vom 04. Jan 2021, S. 09.
Dieser Blog ist mein Tummelplatz für alle möglichen Texte aus meiner Feder bzw. meinem Computer. Neben autobiographischen Texten (aus denen einmal meine Autobiographie entstehen soll) und Sachtexten (vor allem zu Themen rund ums Schreiben und Veröffentlichen) werde ich hier nach und nach die vielen kleinen Geschichten publizieren, die im Lauf der Jahrzehnte entstanden sind. Der Jahresendzeit mit Weihnachten entsprechend, will ich mit dieser Mikro-Story beginnen, verfasst am 16. Dez 2007 vom “vielleicht irgendwann einmal größten Autor der Welt”. Und die geht so:
Abb.: Weihnachtsmännchen (von der CorelDraw-CD mit der lizenzfreien Bildersammlung – ca. 2090)
Es war einmal –
Nein, so soll das nicht anfangen. Es soll ja kein Märchen werden, sondern eine Weihnachts-Geschichte. So richtig was für “warm ums Herz”. Allerdings – eine märchenhafte Geschichte soll es schon sein, mit Happyend und so. Darf doch sein, oder?
Weihnachten ist ja im Grunde eh nur ein religiös verbrämtes Märchen: Prophezeiung im Traum, Jungfrauengeburt, angeblich kostenlose Beherbergung in einem ausgebuchten Hotel (naja, im Stall, immerhin), der Stern von Bethlehem, die Heiligen Drei Könige (wo sind Könige schon heilig außer in Märchen?). Dazu etliche Wunder, Auferstehung von den Toten, erster Astronaut und so –
Also bitte sehr: äußerst märchenhaft das alles.
Aber gemach und der Reihe nach, schließlich bewegen wir uns in die “staade Zeit”, wie das in Bayern heißt (jawohl, mit zwei “aa”, damit es besonders leise ist), und alle Welt ist schön entschleunigt. Die Geschichte, die ich erzählen will, handelt von einem Weihnachtsmann. Nicht von irgendeinem, sondern vom kleinsten, den es je gab.
Dazu muss man wissen, dass es nicht nur einen Weihnachtsmann gibt, sondern deren mehrere, viele sogar (alles andere wäre ein Märchen). Wie sonst sollten denn zwei oder gar demnächst acht Milliarden Kinder mit Wunscherfüllungen beliefert werden, und das noch dazu an einem einzigen Abend!?
Einer dieser Weihnachtsmänner war logischerweise der kleinste – Das kann man sich doch leicht vorstellen: Wenn sie in einer Reihe nebeneinanderstehen beim Appell für den Heiligen Abend antreten: Links der größte, wohl ein Halbriese – rechts der kleinste. Wie damals in der Schule wir Schüler (aber ich will mich jetzt nicht mit aller Gewalt selbst in die Geschichte hineinschreiben).
Dieser kleinste Weihnachtsmann, kurz kWm, war logischerweise für die kleinsten Kinder zuständig; und das sind die der Wichtel und Zwerge. Die sind wirklich klein, winzig, kaum mit der Lupe zu erkennen. Für manche braucht man sogar ein Mikroskop.
Diesem kWm ist nun etwas Seltsames passiert. Weil er es so eilig hat, herumzukommen auf der ganzen Welt mit seinen Geschenken. Eigentlich war es ja schon lange zu erwarten – aber nun ist es tatsächlich passiert: Dass er einer Weihnachtsfrau begegnete. Klar doch, wäre ja wirklich märchenhaft, wenn es im Zeitalter der Emanzipation nicht irgendwann Frauen auch in dieses Amt gedrängt hätte (obwohl der Papst sich angeblich lange mannhaft dagegen gesträubt hat). Und Amt ist es ja auch keines mehr, sie sind nur noch Angestellte, die Weihnachtsleute.
Diese nun, von der jetzt die Rede sein soll, diese Weihnachtsfrau, war zufällig die kleinste Weihnachtsfrau der Welt, kurz kWf. Kommt schon mal vor, so ein Zufall. Den Jackpot im Lotto knackt ja auch immer wieder mal jemand. Auch diese kWf war für Wichtel und Zwerge zuständig, was schon wegen der Größe der Geschenke gar nicht anders möglich ist. Rein zufällig ( ja wirklich: rein zufällig), befand sich ihr Zustellbezirk gleich neben dem vom kWm.
So waren beide mitten im Geschenkeverteil-Stress, als sich trotz modernstem GPS-Navi ihre Zustellwege kreuzten. Noch genauer: ihre Schlitten krachten mitten auf einer schlecht beleuchteten Kreuzung bei Untermittraching-Tuntenhausen zusammen. Alle Geschenke flogen im hohen Bogen durch die Gegend, gefolgt von ein paar sehr unweihnachtlichen Flüchen, von denen “Ja so a Bescherung, deppert´s Mannsbild!” (sie) und “Ja da verreck, a Frau auf´m Schlitten!” (er) noch die harmlosesten waren. Beim Austauschen ihrer Visitenkarten wegen der versicherungstechnischer Behandlung des Vorfalls und noch intensiver beim Einsammeln der ringsum verstreuten Geschenkpäckchen lernten sie sich jedoch ein wenig näher kennen. Es funkte zwischen ihnen, wie man so sagt, und so sie verabredeten sich für „nach der Arbeit“ zu einem Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Aus dem einem Glühwein wurden bald zwei, dann drei, dann vier, dann fünf (damit es eine Primzahl ist – Weihnachtsmänner stehen auf Primzahlen, Weihnachtsfrauen haben es mehr mit den ordentlichen geraden Zahlen – aber da zweimal fünf ja zehn ergibt, hatte das dann auch wieder seine Richtigkeit).
Man merkt, dass das eine – pardon – verdammt kalte Weihnacht war (von wegen Klimaerwärmung! auch so ein Märchen – was ist denn schon ein Ansteigen des Meeresspiegels um ein paar Meter, wenn es dabei schön warm wird, irgendwo jedenfalls).
So ging es dann weiter. Sechs Monate später (bei Zwergen und Wichteln und sehr kleinen Weihnachtsleuten geht alles ein bisschen schneller) kam das – natürlicherweise – kleinste Christkind, pardon: Weihnachtskind der Welt zur Welt, ein echtes kWk.
Aber das ist eine andere Geschichte. Diese ist jetzt zu Ende. Damit es der kleinste Weihnachtsroman (kWr) aller Zeiten bleibt. Oder wenigstens der von diesem Jahr.
Frohes Fest allerseits wünscht der viegAdWJvS*
* d.h.: “vielleicht irgendwann einmal größte Autor der Welt”
Diesen Aufmarsch von 222 orangegrellen Modepuppen vor der Feldherrnhalle nennt der Künstler Dennis Meseg Broken. Er will damit auf die “Gewalt gegen Frauen” aufmerksam machen. Die Süddeutsche Zeitung nannte das eine “verstörende Versammlung”. Ich nenne es “Invasion der Aliens”.
Ich kam bei meiner täglichen Radtour zum Englischen Garten am Odeonsplatz zufällig an dieser Installation vorbei – und fand sie einfach gruselig. 222 magersüchtige Hungerhaken – hätte eine Frau das so inszeniert? Wohl kaum. Da will sich ein Mann wichtig machen, hängt sich an Frauenthemen wie #MeToo dran – und stellt doch nur seine höchsteigene Form der “Gewalt gegen Frauen” auf den Platz, den schon die Nationalsozialisten für ihre Gewalttätigkeit missbraucht haben.
Installation “Broken” von Denis Meseg vor der Feldherrnhalle. (Foto: JvSch 2020-12-08)
Als Kind litt ich unter Nasenpolypen, die mir ab dem zweiten Lebensjahr zunehmend das Atmen erschwerten. Im März 1943 war dann eine Operation unumgänglich. Sie wurde in Eger (heute Cheb in Tschechien) durchgeführt, das nicht weit von Rehau entfernt liegt. Auf der Zugfahrt dorthin schaute ich mit meiner Mutter einen Prospekt des Ozeanriesen Bremen des Norddeutschen Lloyd an. Auf diesem Pott (wie die Hamburger sagen) war mein Vater als junger Mann zur See gefahren – als Steward und Tennislehrer, dem seine Englisch- und Französischkenntnisse und sein weltmännisches Verhalten sehr zugutekamen. (Über seine ganz andere Rolle auf der Bremen an anderer Stelle mehr – Rudolf Hess lässt grüßen). So erklärt sich ganz einfach, wie meine Mutter in den Besitz dieses Prospekts gekommen war.
Ansonsten erinnere ich lebhaft noch drei Details dieses Arztbesuchs: Die gelbe Farbe des Wartezimmers. Die Chlorformmaske zur Anästhesie samt rückwärts zählen (was ich mit drei Jahren offenbar schon konnte oder in diese Situation rasch gelernt habe). Und dass ich – wohl nach dem Eingriff – entsetzt jammerte: “Ich mecht net ster´m” (aus dem Rehauerischen Dialekt übersetzt: “Ich möchte nicht sterben”).
Letzteres erklärt ganz einfach, warum ich heute in diesen Corona-Zeiten solche Atemnot bekomme, dass ich mir die so oft erforderliche Schutzmaske am liebsten gleich wieder herunterreißen würde. Zum Glück habe ich in fünfzig Jahren Yoga gelernt, ganz gelassen zu atmen und mich dadurch ruhig zu stellen, wenn es nötig ist. Zum Beispiel im Magnetresonanztomographen, wenn er mit höllischem Lärm um meinen Kopf kreist, tief drinnen in der Röhre: Ausatmen- Einatmen – Ausatmen – Einatmen… (Zuletzt erlebt als Begleitmusik zur Entfernung meiner Gallenblase im August 2019).
Die Atemnot wurde dann 1943 nach der PolyOp sicher noch gefördert durch meine Erkrankung an Keuchhusten. Was mir und meiner Mutter zu einer Reise nach Oberstdorf zur Familie von Tante Lucie, der Schwester meines Vaters, verhalf – für eine Heilbehandlung in der Keuchhustenstation auf dem Gipfel des Nebelhorn. Bei dieser Gelegenheit lernte ich von Cousin Peter Josam, ° wie man mit Makkaroni Tomatensoße aufschlürfen kann ° und wie eine Schildkröte aussieht und sich bewegt: gaaaaanz laaaaangsaaaaam. (Ob von daher eine frühe Prägung meines späteren Interesses am Thema “Entschleunigung” rührt?)
Peters Schildkröte war trotz ihrer Langsamkeit aus dem Garten ausbebüxt gewesen und es war nun ein großes Ereignis, dass jemand sie entdeckt und zurückgebracht hatte. Als ich viele Jahre später meinen Patenonkel Julius (der Bruder meines Vaters) in Garmisch besuchte und dieser mich, schon 94 Jahre alt und sich auf den Tod vorbereitend, aufforderte, irgend etwas von seinem Besitz mitzunehmen (“den ich ja bald nicht mehr brauchen werde”) war ich sehr beeindruckt von dieser Gelassenheit, dem Annehmen der eigenen Endlichkeit und dem Loslassen der irdischen Dinge. Ich stutzte erst, weil ich in dieser spießigen und schon recht vernachlässigten Wohnung partout nichts entdecken konnte, was ein Gewinn für meine Besitztümer gewesen wäre. Da entdeckte ich in einem Regal eine kleine Schildkröte aus Bronze. Und wusste sofort, dass ich die gerne hätte (und ich weiß noch genau, dass ich mich dabei an die Schildkröte seines Neffen Peter Josam in Oberstdorf erinnerte). “Ja, nimm sie mit”, sagte der Onkel, ganz erleichtert, wieder ein wenig Ballast abgeworfen zu haben. Und ich nahm die neue Bürde gerne mit.
Schildkröte aus Bronze – Länge 14 cm, Breite 11 cm, Höhe 5 cm (Nachlass Julius vom Scheidt, 1901-1995)
Dass die Schildkröte, die jetzt in der Diele meiner Wohnung in einer Ecke still vor sich hin ruht, das Symbol schlechthin für Entschleunigung ist – das war mir damals nicht klar. Obwohl ich das Buch Singles – Alleinsein als Chance (1979) schon veröffentlicht hatte, worin ich erstmals den Begriff “Entschleunigung” verwendet und wohl überhaupt als Erster publik gemacht habe.
Das beeindruckende Verhalten von Onkel Julius im Alter ändert allerdings nichts daran, dass er ein übler Antisemit war. Aber ich kann Menschen gut in (mindestens) zwei verschiedenen Schubladen meines “Archivs der Erinnerung” parken. Bei meinem Vater musste ich das auch lernen – was nicht einfach war.
Auf der Hin- oder Rückfahrt (oder beide Male) machten wir Zwischenhalt bei Mutters Tante Frieda Harrach in der Agnesstraße in München, das ziemlich genau in der Mitte auf der Strecke Rehau – Oberstdorf liegt – damals sicher mehr als eine Tagesreise mit der Bahn und nicht ungefährlich wegen der immer heftiger werdenden Bombenangriffe auf die deutschen Großstädte. Was mich bei Einbruch der Dunkelheit dann tief beeindruckte, war das Loch im Dach über dem Treppenhaus, das mir Onkel Karl Harrach nicht ohne Stolz zeigte: “Das hat eine Brandbombe geschlagen – aber das Feuer haben wir rasch gelöscht” (oder so ähnlich lautete die Erklärung). Wir blieben wohl einige Nächte zu Besuch, denn ich äußerte mehrmals begeistert den Wunsch “Sternele sehn”. Gut möglich, dass mein Faible für Astronomie hier seine erste Quelle hat. Später, da war ich schon zehn, förderte mein Vater diese Faszination nachhaltig, indem er (von seinen Jahren bei der “Christlichen Seefahrt” geprägt) mir in einer eiskalt klaren Winternaht den Sternhimmel erklärte. Prof. Harald Lesch könnte es heute nicht besser machen. Das wurde noch verstärkt durch das Buch Aus fernen Welten von Bruno H. Bürgel, das Vater mir 1952 zu Weihnachten schenkte. Was für ein Lesefutter für einen aufgeweckten Jungen. Der hatte zuvor schon ein spannendes Abenteuer aus diesen “fernen Welten” des Weltraums mit glühenden Wangen verschlungen: Den Zukunftsroman Auf unbekanntem Stern von Anton M. Kolnberger, 1948 entdeckt und gleich auf den Weihnachtstisch gewünscht – und dort auch gelandet. All dies zusammen begann das zu knüpfen, was ich vor einem Jahr den “Blauen Faden” meines Lebens nannte: Das Interesse nicht nur an der Astronomie und anderen Naturwissenschaften, sondern an den Erzählungen, die dieses Sachwissen so lebendig machen können: die abenteuerliche, exotische, bizarre (und nicht selten auch ziemlich ver-rückte) Welt der Science Fiction.
(Ja, erstaunlich, nicht wahr, was hinter so einer atemberaubenden Maske alles verborgen sein kann.)
Vermutlich in Rehau wurde das folgende Foto gemacht: Da trommle ich vor einem Haus, das allerdings anders aussieht als der Eingang zur Bahnhofstraße 15, wo wir in Rehau wohnten, im Haus meines Großvaters Karl Hertel sen. (erbaut von dessen Schwiegervater Eduard Kropf, meinem Urgroßvater auf der mütterlichen Linie).
Abb.: Jürgen vom Scheidt – etwa dreijährig (Foto: vermutlich die Mutter – Marie vom Scheidt – 1943)
Warum ich dieses idyllische Bild hier präsentiere? Weil es die schein-friedliche Oberfläche von etwas völlig anderem darstellen. 1942 war der Zweite Weltkrieg in vollem Gange, angezettelt von Diktator Adolf Hitler und seinen nationalsozialistischen Mörderbanden. Ich bin in Rehau aufgewachsen in einem Haus, in dem sieben Frauen lebten und das Leben am Laufen hielten: Im Ersten Stockwerk meine Mutter Marie, deren Schwester Elisabeth, beider gemeinsame Mutter Betty Hertel (geb. Kropf). Im zweiten Stock die Frau Annemie von Onkel Karl (dem Bruder meiner Mutter und von Tante Lis) und Annemies Mutter, die “Omi Unglaub”. Unten im Hauseingang hatte das Dienstmädchen Else ihr Zimmer und ab und zu kam ein Kindermädchen (?), das mich spazieren fuhr. Und dann lebte im Erdgeschoss. neben dem Architekturbüro des Großvaters, noch die Frau Funke, ähnlich alt wie Großmutter. Ich liebte sie sehr und wollte immer bei ihr sein, rief “Unke, Unke”, wenn ich zu ihr wollte – einmal zu schnell, denn ich stolperte und stürzte kopfüber die Treppe aus hellgrauem Granit hinunter – hat meinem biegsamen Kinderkörper und meinem Kopf aber wohl nichts geschadet. Ich habe also schon sehr früh das “Fallen” gelernt und konnte da als Student dann im Judotraining bei den Fallübungen von Judoka Aigner gut anknüpfen – was mir noch später bei diversen Stürzen mit dem Fahrrad sehr geholfen hat – zuletzt vor zwei Monaten, da war ich schon achtzig – aber das Fallen kann ich offenbar immer noch recht geschickt…
Und wo waren all die Männer? Natürlich waren sie “im Krieg” zu jener Zeit – oder sollte ich besser schreiben: “unnatürlich”? Mein Vater, Onkel Karl und sogar mein Großvater (der schon im Ersten Weltkrieg in der größten Scheiße gekämpft hatte: in Douaumont bei Verdun) waren irgendwo dort draußen “an der Front”. Mein Vater kämpfte damals vermutlich in Holland, Onkel Karl und Großvater in der Ukraine. WAS HATTEN DIESE DEUTSCHEN SOLDATEN DORT ZU SUCHEN?
Mein Großvater, Jahrgang 1880, meldete sich als aktiver Offizier im Majorsrang 1941/42 freiwillig erneut zum “Dienst an der Waffe”. Er mochte diesen “Anstreicher” nicht, diesen Gefreiten Adolf Hitler (im Gegensatz zu meinem Vater, der als junger Mann ein “glühender Nazi” gewesen ist). Aber er war loyaler Bürger. Und er war
° zum einen lieber Soldat als Architekt und er war als Offizier der Reserve und als Mitglied des deutschnationalen Stahlhelm ein echter Untertan, der tat, was man ihm befahl;
° und zum anderen ertrug er nicht das schreckliche Sterben seiner todkranken Frau Betty, die an Magen, Brust- und Kehlkopfkrebs litt .
Dann schon lieber das Sterben an der russisch-ukrainischen Front (wie mir Tante Lis Jahrzehnte später einmal als den wahren, tieferen Grund seiner Teilnahme an diesem zweiten Weltkrieg plausibel machte).
Seltsam: Der Großvater läuft vor dem Sterben seiner Frau davon – der Enkel (ich) muss das miterleben. Ich habe an Sterben und Tod meiner Großmutter keinerlei Erinnerungen. Sie starb Ende 1942 qualvoll, weil es kaum schmerzlindernde Medikamente gab (es war ja Krieg mit Mangelwirtschaft), gepflegt von ihren Töchtern. In ihrem Schlafzimmer in der selben Wohnung, wo ich im Zimmer nebenan spielte. An Sylvester 1942 starb noch jemand in diesem Haus: mein Cousin Heinz Hertel, mein bester Freund “Heinzele”. Er starb, weil die Frauen irgendwoher echten Bohnenkaffee aufgetrieben hatten und den zum Jahreswechsel unbedingt trinken wollten. Heinzele wollte auch “Kaffee” und bekam ihn. Eine rätselhafte Reaktion seines Blutes reagierte tödlich auf das Coffein – er starb in den nächsten Tagen.
Ja, der Tod war sehr präsent im Haus Bahnhofstraße 15 in Rehau in meinem zweiten Lebensjahr. Indirekt war er zudem sicher ständig gegenwärtig in der Sorge und den Ängsten der Frauen um ihre Männer draußen irgendwo in Europa im Krieg.
Habe ich die Bombenangriffe in Leipzig miterlebt? Wenn später, in den 50er Jahren, am Mittwoch um 12:00 Probealarm war, fuhr mir das immer durch und durch. Ich habe den Fliegeralarm während des Krieges sicher auch in Rehau immer wieder mit erlebt. Dort wurde nie bombardiert – aber die Bomberschwärme der Alliierten flogen hoch oben am Himmel über den Ort – Richtung Berlin, Dresden. Leipzig – oder nach München.
Rehau war den ganzen Krieg über eine Idylle. Wäre nicht im Mai 1945 noch im letzten Augenblick von einem amerikanischen Panzer die Roth´sche Holzwollfabrik am Hofer Berg in Brand geschossen worden – Rehau hätte keinen einzigen Kratzer in diesem Krieg abbekommen.
Aber in meinen Träumen jener Kriegstage in Rehau muss ich mitten drin gewesen sein. Meine Mutter ging gerne ins Kino, in “Lichtspieltheater” vom Otto Strobel. Doch einmal musste man sie mitten aus der Vorstellung nachhause holen, weil ich vom Kindermädchen nicht zu beruhigen war und nicht aufzuwecken aus einem Albtraum, in dem ich von brennenden Häusern und von den “Fiechern” phantasierte – meinem Kinderwort für die Flieger, die ihre schreckliche Fracht oben am Nachthimmel transportierten.
Weil ich gerade beim Thema “Krieg” bin: Der Trommler, als der ich oben posiere, hatte ein lautstarkes Vorbild: Die Begleitmusik, die den Hitlerjungen vorwegmarschierte, wenn sie “mit klingendem Spiel” durch Rehau zogen – wie überall in Deutschland. Hitler brauchte ständig Nachschub an Soldaten, die millionenfach für ihn “im Kampf fielen” (wie man das damals schönfärberisch nannte) – die Hitlerjugend war genau das, angeleitet vom Hilfs-Verführer Baldur von Schirach. (Günther Grass hat mit seinem Roman Die Blechtrommel diesem Instrument und seiner Bedeutung in der Nazizeit 1959 ein buchstäblich lautstarkes Denkmal gesetzt.) Einmal zog so ein Fähnlein vor unserem Haus in der Bahnhofstraße vorbei. Ich nicht faul, rannte hinunter auf die Straße und schloss mich dem Zug an. Man ließ mich auch mitmarschieren (wahrscheinlich amüsiert über diesen frühreifen Jungdeutschen). Bis zum “Lichtspieltheater”, dem Rehauer Kino. Die Pimpfe marschierten hinein. Und mir schlug man brüsk die Tür vor der Nase zu – das war noch nichts für einen Dreikäsehoch. Ob ich deshalb später so ein Kinonarr wurde – weil man mich damals von diesem Vergnügen ausgeschlossen hat? Aber näherliegend ist, dass ich diese Leidenschaft von meiner Mutter übernommen habe. Und mein Sohn Maurus wurde vielleicht deshalb Filmregisseur, weil er dass von mir übernommen hat? Wer weiß. Die Wege der “familiären Delegation”*sind manchmal wundersam. * Zur “familiären Delegation” ein andermal mehr.
… in Zeiten von Corona kommt man damit leicht an Grenzen der Verständlichkeit. Schreib-Seminare sind derzeit nur online mit Video-Konferenzen zu bewältigen. Dazu muss man nicht nur freundlich in eine Kamera schauen und klar artikuliert sprechen – sondern auch aufmerksam zuhören. Wenn man jedoch, wie ich, Hörgeräte braucht, können diese noch so gut sein – aber mit Headset oder Kopfhörern gibt das leicht Probleme. Zum Beispiel unerwünschte Rückkopplungseffekte.
Die technische Lösung dafür existiert: Neuartige Geräte mit kabelloser Bluetooth-Verbindung. Die man noch dazu – state of the art – via Akku aufladen kann, wodurch man nicht mehr unzählige Mikro-Batterien vergeuden muss.
Als drittes imponiert die rundumerneuerte Software, mit der man nun wirklich in einem Lokal alle störenden Nebengeräusche ausblenden und die Menschen am Tisch sehr gut verstehen kann, mit denen man sich unterhalten möchte.
Und jetzt komme ich zur einzigen Werbung, die es auf diesem Blog je geben wird:
Ich empfehle die neuartigen, supermodernen Hörgeräte von StarKey, die das Arbeiten in Webinaren mit Videokonferenzen nicht länger zu einem anstrengenden Balanceakt zwischen Schwerverstehen und Kaumverstehen und Garnichtverstehen machen – sondern zu einem ungetrübten Hörvergnügen. Denn dank kabelloser Bluetooth-Verbindung braucht man keinen Kopfhörer und sogar den Ton von Fernsehsendungen und aus dem Telefonhörer kann ich nun direkt empfangen.
Buchmesse Frankfurt am Main im Oktober 2020: Geisterhafte Leere in den Gängen wegen Corona
Ein schönes Oxymoron: “Dröhnende Stille”. So betitelt die Süddeutsche Zeitung einen Kommentar zur diesjährigen Buchmesse, die im Oktober dieses Jahres wegen der Corona-Pandemie weitgehend in leeren Räumen und online stattfand. Das weckte in mir zwei Erinnerungen an meine früheren Tätigkeiten als Lektor und Autor:
° Meine Anfänge mit dem Buchmarkt 1969 in der Nymphenburger Verlagshandlung, wo ich als wissenschaftlicher Lektor begonnen habe. Das war meine zweite Arbeitsstelle (nach der Illustrierten Jasmin im Jahr zuvor). Unvergesslich das erste Gespräch mit Verleger Bertold Spangenberg mit diesen beiden Sentenzen: ° Auf meinen vorangehenden Job bei Jasmin anspielend (der ihm wichtig war wegen der Pressekontakte, die er sich von mir versprach) meinte er: “Jasmin – dieser Duft wird von denselben Substanzen erzeugt, die auch in den menschlichen Fäkalien enthalten sind.” Da sprach sowohl der Chemiker, der er von Haus aus gewesen war als auch sein etwas zwanghafter Charakter” – wie ein Psychoanalytiker das beschreiben würde. Er war wirklich sehr pedantisch, etwa indem er ständig die vielen Projekt-Mäppchen auf seinem Schreibtisch umschichtete. Aber er war trotzdem ein sehr guter und sehr kreativer Verleger – oder gerade deswegen. Ich habe viel von ihm gelernt und traf ihn später immer wieder bei der VG WORT, wo er eine wichtige Stimme der Verleger war. ° Spangenbergs zweite Bemerkung verblüffte mich noch mehr: “Bücher sind durch Druck entwertetes Papier.“ Damit meinte er, dass die noch frischen, nicht bedruckten Rohbogen, auf denen die Texte der Bücher entstehen, so lange handelbares Gut und somit wertvoll sind – wie sie eben nicht bedruckt wurden. Der Druck machte zwar ein neues Handelsgut daraus, eben ein Buch – aber dieses ist ab da den ganz anderen Gesetzmäßigkeiten des Buchmarktes unterworfen und wirklich rasch „entwertet“, sobald das Buch kein Bestseller oder einigermaßen erfolgreich ist, sondern ein Flop, der schlimmstenfalls im billigen „Ramsch“ landet oder wie Blei im Lager rumliegt.
° 1973 dann meine erste eigene Präsenz bei der Buchmesse – am Stand des Droemer-Verlags (wo gerade mein Sachbuch Innenwelt-Verschmutzung erschienen war und ich neben anderen den Bestsellerautor Johannes Mario Simmel als Autorenkollegen beim selben Verlagshaus kennenlernte).
Noch ein Gedanke zu dem eingangs erwähnten Begriff “Oxymoron“. Damit ist der sprachliche Kunstgriff gemeint, in einem einzigen Wort zwei total gegensätzliche Begriffe zusammenzufügen. “Dröhnende Stille” war oben das Beispiel. Mindestens so eindrucksvoll ist für mich “Rasender Stillstand”, ein Essay von Paul Virilio mit dem Untertitel: “Ein Versuch über Beschleunigung in der Moderne”. Aber der Begriff “Stillstand” im Titel zielt eben auch auf das Gegenteil – die Entschleunigung.
Virilio, Paul: Rasender Stillstand (Paris 1990). (München 1997, Hanser). Frankfurt am Main 2015, 5. Aufl. (Fischer Taschenbuch).
(Timeline 1: Der aktuelle Eintrag zum Datum 2020-10-17 / Timeline 2: historisches Datum 1969 bzw. 1973)
Als ich 1979 in meinem Ratgeber Singles – Alleinsein als Chance den Begriff “Entschleunigung” einführte, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, welche Furore dieser Begriff im Lauf der Jahre machen würde. Seit dem Jahr 2000 ist er sogar im Duden präsent.
Die Corona-Pandemie mit dem ersten Lockdown in diesem Frühjahr hat alle Abläufe extrem verlangsamt – der Begriff “Entschleunigung” tauchte deshalb plötzlich überall auf.
Aber Corona hat auch das Gegenteil forciert, die Beschleunigung, – zum Beispiel, was die Digitalisierung des modernen Lebens angeht. Oder wie der Bundestag an einem einzigen Tag alle drei – vorgeschriebenen – Lesungen eines neuen Gesetzt über das Kurzarbeitergeld buchstäblich durchpeitschte, und zwar mit der Zustimmung aller im Parlament vertretenen Parteien, sogar der sonst immer opponierenden AfD.
Mein Symbol für Entschleunigung (Bronze, unbekannter Künstler, unbekanntes Jahr).
(Am 08. April 2020 habe ich meinen ersten Anlauf zu diesem Blog unternommen. Und das begann so:) Danke, dass Sie meinen CAN-Blog besuchen! Hier notiere ich alle zwei, drei Tage, was mich im Verlauf der der Corona-Krise privat und beruflich bewegt. Wieso dieser Name CAN-Blog? CAN – das ist ein Akronym. Es steht für: Corona Attacke Nützen
– nämlich nützen für Chancen im eigenen Leben angesichts der weltweiten und leider allzu nahen Virus-Katastrophe.
Schon im griechischen Urwort „krisis“ ist ja beides enthalten: Gefahr und Chance.
Welches Kulturwerkzeug wäre besser geeignet, bei der Bewältigung der aktuellen Krise zu helfen – als das #Schreiben – dieses vielseitige „Wunderwerkzeug“!
Aber es wird in diesem Blog noch weitere wichtige Themen geben: Die #Labyrinthiade, die #Entschleunigung, #München – Stadt der Zukunft” (als Hintergrund für mein aktuelles Roman-Projekt) – and many many more.
Das wird dann also so etwas wie “Kraut & Rüben” – wer soll das denn lesen? (denken Sie jetzt vielleicht). Nun – zunächst einmal lese (und schreibe) ich das selbst. Da Sie das jetzt auch lesen – sind wir schon zu zweit. Und vielleicht gefällt Ihnen dieser Blog und sie lesen weiter darin und empfehlen ihn weiter?
Dieser Blog so etwas wie mein “Grabstein zu Lebzeiten” werden. Das ist aber nur symbolisch gemeint – denn wenn ich etwas nicht will, dann einen Grabstein. Ich will verbrannt und in einer Urne bestattet werden (oder jemand verstreut meine Asche bei Sylt im Meer – würde mir auch gefallen – dieser Gedanke). Ist aber nur so ein Gedanke, wie gesagt, denn leibhaftig werde ich ja nicht dabei sein können. Doch die Vorstellung, dass dieser hier notierte (Anfangs-)Gedanke und viele weitere Gedanken und Erlebnisse von mir in Form von Texten meinen Tod eine Weile überdauern könnten – eben als (virtueller) “Grabstein im Internet”- dieser Gedanke gefällt mir. Ich schmökere ja auch gerne in den Tagebüchern meines Urgroßvaters Ferdinand Naumann aus dem Jahr 1886 folgende, die ich von meinem Vater geerbt habe und an meine Kinder und Enkel weitergeben werde.